Crow Healer

Pretty Shield

 

More Than Petticoats - Remarkable Montana Women von Gayle C. Shirley

 

Vier Tage waren vergangen, seit Kills-In-The-Night’s viertes Kind geboren war. Aber in den Augen der Crows war das Neugeborene ein Niemand, denn sie hatte noch keinen Namen bekommen. Es war März, die eisige Schicht des Missouri Rivers begann zu schmelzen. In der Tradition der Crows war es am Grossvater väterlicherseits, Little-Boy-Strikes-With-A-Lance, bekannt zu geben, wenn er bereit war, seiner Enkeltochter einen Namen zu geben.

          Kills-In-The-Night packte ihr neugeborenes Kind in Wildleder, um es vor dem letzten Frost des Winters zu schützen und trug stolz ihren Säugling, begleitet von ihrem Gatten, Crazy-Sister-In-Law, zu des alten Mannes Hütte. Little-Boy-Strikes-With-A-Lance sass vor einem kleinen Feuer im Zentrum seines Tipis. Als er das Kind in seine Hände nahm, warf jemand aus der Familie Chips aus getrockneter Bärenwurzel in die Flammen, die sofort einen süsslichen Rauch bildeten, der langsam zum Rauchloch des Tipis hinaufstieg.

          Little-Boy-With-A-Lance hielt seine Enkeltochter in den Dampf des reinigenden Rauches und begann einen Sprechgesang, ein Gebet: “May this child grow to be healthy!” Während er sang, hob er das Kind in alle vier Himmelsrichtungen hinauf. Dann schenkte er ihr ihren Namen: Pretty Shield, zu Ehren seines stattlichen Schildes, halb rot und halb blau, welches hinter seiner Hütte an einem Gestell hing. Das Kind würde aufwachsen um eines der respektiertesten Mitglieder seines Stammes zu werden, eine Grosse Heilerin für Seele-, Geist- und Körper.

          Es gibt keine Aufzeichnungen über Pretty Shields Geburt, aber sie würde einmal sagen, sie sei, im “the snow that Yellow-Calf and his war-party were wiped out by the Lacota” geboren worden, wahrscheinlich in den späteren 1850 Jahren. Nun, man weiss viel über den Rest ihres Lebens, was überraschend ist, denn auch die Crows überlieferten ihre Geschichte meist mündlich. Und für viele Jahre waren zu wenige Historiker oder Gelehrte an dem trostlosen Leben von indianischen Frauen interessiert.

          Eine Ausnahme war Frank Bird Linderman, ein Ureinwohner aus Chicago, der in seinem sechzehnten Lebensjahr nach Montana kam und die folgenden vierzig Jahre mit dem Studium und dem Niederschreiben über das Leben der Indianischen Stämme in den Plains verbrachte. Zwei seiner bekanntesten Bücher waren das Resultat aus Interviews mit Pretty Shield und dem grossen Crow Häuptling Plenty Coups. Dieser gab Linderman seinen Crownamen: Mah-Paht-sa-mot-tsasa, was Great-Sign-Talker bedeutet.

          Zeichensprache und einen Übersetzer nutzend, interviewte Linderman Pretty Shield in den frühen 1930er, als Aufzeichnungen der Crow Agency vermuten liessen, sie sei vierundsiebzig Jahre alt. Er war angenehm überrascht, als sie sich bereit erklärte, mit ihm zu sprechen. Er schrieb im Vorwort zu ihrer Biographie:

 

Während sechsundvierzig Jahren in Montana hatte ich viel mit verschiedenen indianischen Stämmen zu tun, und niemals, bis jetzt, habe ich keine zehn aufeinander folgende Minuten direkt mit einer alten indianischen Frau sprechen können. Ich habe indianische Frauen zurückhaltend, bescheiden und schüchtern kennen gelernt, und stellte fest, dass es fast unmöglich ist, mit ihnen Bekanntschaft zu machen... Ich hatte beinahe die Idee aufgegeben, jemals über das Leben einer alten Indianerin zu schreiben, als Pretty-Shield mich mit ihrer Zustimmung, ihre Geschichte zu erzählen, begeisterte.

          Aus allen alten indianischen Frauen die ich kannte, war Pretty-Shield meine erste Wahl, weil in ihr die drei unverzichtbaren Qualifikationen, eine solche Geschichte zu erzählen ins solch glücklicher Kombination vorhanden waren: das Alter, welches ihr gestattete das natürliche Leben ihres Volkes in den Plains gekannt zu haben, ihr scharfer Verstand und ihre positive Einstellung, und zudem, den Willen mit mir ohne Zurückhaltung zu sprechen. Mit diesen notwendigen Qualifikationen ist Pretty-Shield eine “Wise-one”, eine Medizin-Frau des Crow Stammes.

 

Als Pretty Shield zu Linderman sprach, wiederstrebte es ihr über ihr Leben, nachdem die Büffel von den Plains verschwunden waren und die Herzen der Crows, in ihren eigenen Worten: “turned to stone”, zu sprechen. Sie verweilte stattdessen in ihrer Kindheit - eine sorgenfreie und glückliche Zeit, die sie damit verbrachte mit Kindern einer anderen, vergangenen Kultur zu spielen. Sie erzählte vom Spiel mit einem Ball aus einem Wildlederbeutel, der mit Antilopenhaar ausgestopft war, das ein Büffelherz umfasste. Sie schlitterte auf einem Schlitten aus Büffelrippen einen schneebedeckten Hügel hinunter. Und manchmal verkleidete sie sich mit ihren Freunden in Schlammclowns und unterhielten ihr Dorf mit Liedern und Tänzen.

          Wie Kinder überall, war Pretty Shield manchmal dazu geneigt Unfug zu treiben. Einmal schlichen sie und ein Freund in der Nacht um das Dorf, zogen die Stangen der Rauchluken aus manchem Tipi, worauf diese zuklappten und sich die Hütten mit Rauch füllten. Bei einer anderen Gelegenheit stahlen sie und ein Freund einen Schild und einen Tabakbeutel von einer Grabhütte eines toten Sioux Kriegers. Ihr Vater erfuhr davon und bestrafte sie. Er schlug sie nicht - Crow Eltern gingen sanft mit ihren Kindern um - aber er liess sie die gestohlenen Dinge zurück bringen und gab ihr eine tüchtige Lektion. “Ah, how my father talked to me that time!”, erinnerte sie sich. “And I needed to be talked to!”

          Kurz bevor Pretty Shield drei Jahre alt wurde, verlor ihre Tante Strikes-With-An-Axe ihren Mann und zwei Töchter, als das Dorf von Sioux attackiert wurde. Die junge Frau trauerte so lange und wurde so dünn und schwach, dass Kills-In-The-Night ihr Pretty Shield gab, in der Hoffnung, dass das Kind helfen würde ihr Herz zu heilen. Pretty Shield zog in das Dorf ihrer Tante um, doch weil die Crow Clans sich oft trafen, hatte sie viele Möglichkeiten ihre Mutter zu sehen. Sie verkraftete die Trennung offensichtlich sehr gut. Sie erzählte Linderman, dass sie glücklich in der Hütte der Tante gewesen war, vielleicht ein wenig glücklicher als sie zu Hause gewesen wäre, denn sie wusste; ihre Tante brauchte sie.

          Anders wie bei weissen Kindern gingen indianische Jugendliche nicht zur Schule. Stattdessen, lernten sie ihre Kultur auf eine andere Weise kennen, meistens durch das imitieren ihrer älteren Clanmitglieder. Jungen spielten Krieg und verfolgten sich auf ihren Pferden. Mädchen spielten Haushalt und bemutterten ihre Puppen. Pretty Shield erzählte, wie sie ihre Puppe auf dem Rücken trug und ein eigenes kleines Tipi besass, in das sie sich eilte ein kleines Feuerchen zu machen, bevor ihre Tante selbst ein Feuer im grossen Tipi machen konnte. Mädchengruppen bauten ihr eigenes Tipilager, und sie taten so, als seien ihre Puppen Kinder und ihre Hunde Pferde.

 

          So, wie das Leben auf den Prairien Montanas seine amüsanten Momente hatte, so barg es auch seine Gefahren. Eine Gefahr stellten die Büffel dar, die das Leben erhalten und nehmen konnten. Als Pretty Shield Sieben war, hatte sie ein abschreckendes Zusammentreffen mit einem durchgedrehten Büffelbullen, das sie ihr Leben lang beängstigen würde. Sie stach mit einem scharfen Messer, das aus dem Zweig eines Kirschbaumes gemacht war, nach Rüben, als ein massiver Büffel sie angriff, sein Gesicht völlig überdreht dreinblickend und mit Schaum verschmiert. Pretty Shield rannte davon, aber das Band an ihrem Moccasin verfing sich in einem Busch und brachte sie zu Fall. Dabei stürzte sie in das Messer, das sich in ihre Stirn bohrte und hinab gegen eines ihrer Augen stach. Die Wunde brauchte drei Monate zum genesen und wunderbarerweise verlor sie nicht das Augenlicht.

          Grizzlies waren ebenfalls eine Bedrohung, speziell für Frauen und Kinder, deren Aufgabe es war: genau die gleichen Beeren zu sammeln, die die Bären assen. Pretty Shield beschrieb ein blutiges Zusammentreffen, in dessen Folge eine Frau verstarb. Aber nicht alle Konfrontationen mit “those big, white bears”, endeten derart tragisch. Pretty Shield erzählte von einem Vorfall, der jeden zum lachen bringt - jeden, das sind alle ausser sie selbst und ihre Begleiterinnen.

          Es war Juli und die vierzehnjährige Pretty Shield und fünf andere Mädchen waren unterwegs, um Rüben zu stechen. Als Pretty Shield aufstand, um ihren schmerzenden Rücken zu entlasten, bemerkte sie Reiter, die sich näherten. In der Sorge, es könnte sich um Sioux Krieger handeln, rannten sie und die anderen Mädchen zu einer grossen Kiefer und kletterten hoch in die Zweige, um sich zu verstecken. Ihre Herzen “beating like war drums”... schlugen wie Trommelfeuer.

          Als die Reiter näher kamen, realisierten Pretty Shield und ihre Freundinnen, dass es Crows waren und diese etwas im Staub ihrer Pferde vorantrieben. Die jungen Männer hatten eine Grizzliemutter und ihre zwei Jungen eingefangen. Pretty Shield beschrieb, was weiter geschah:

 

„Diese jungen Männer waren dazu da, die Gegend zu beobachten. Sie hatten uns Mädchen gesehen, wie wir die Kiefer erklommen und kamen nun, mit den wütenden Bären, die in jede Richtung knurrten und mit ihren Tatzen schlugen, direkt auf uns zu. “Kommt runter Mädchen! Kommt runter und spielt mit unseren kleinen Tierchen!”, riefen sie, besorgt, sich die Bären fern zu halten.

          Als wir nicht runter kommen wollen, und ihnen das auch sagten, banden diese jungen Männer ihre drei Bären an unseren Baum, liessen sie einfach dort und ritten davon...

          Der Tag war heiss. Sehr heiss, nicht einmal eine kleine kühle Brise wollte Erfrischung bringen...

          Immer, wenn ich runter sah, und das tat ich die ganze Zeit, schaute die alte Bärin direkt zu mir hinauf. Ich sah, dass sie alt war, ihre Zähne waren fast verschwunden und ihre fürchterlichen Krallen ausgefallen; aber ihre Augen waren böse. Ich hatte Angst. Verängstigt sprachen wir Mädchen miteinander, konnten uns kaum bewegen. Unsere Glieder, auf denen wir sassen, begannen zu schmerzen und wir hatten Angst uns auch nur ein wenig zu bewegen, um unsere Sitzposition zu verbessern...

          Ich konnte diese Bären riechen, und dieser Geruch machte mich ganz krank. Ich hatte grosse Angst ich könnte von diesem Baum herunter fallen. Der Gedanke, ich könnte direkt auf die alte Bärin fallen, bewegte mich dazu, mich festzuhalten, bis meine Finger  einen Krampf bekamen.“

 

Schlussendlich, als Pretty Shield den Tränen nahe war, kam ihr Vater um sie zu retten. Er und zwei der Spassvögel befreiten die Bärenmutter und eines ihrer Jungen. Das Andere gaben sie Pretty Shields Tante, die immer ein Bärenjunges hatte, denn die Bären waren ihre Medizin. Pretty Shield hatte schöne Erinnerungen an dieses “Roly-Poly” Haustier.

 

Als mein Vater meiner Tante, Strikes-With-An-Axe, das Tierchen gab, nahm sie es in die Arme und... der kleine Bär wiegte seine Öhrchen dass es schien, es fühle sich glücklich. Zuerst trug sie es auf ihrem Schoss, wenn das Dorf umzog. Dann, als es grösser geworden war, reiste es auf einem Packen, wie ein Baby. Aber schliesslich, wie alle anderen auch, wurde es zu schwer für das Pack auf dem Travois und war zum Quälgeist geworden, sodass es verjagt werden musste. Es folgte eine zeitlang immer wieder dem Travois, und ich bedauerte, es weggehen zu sehen.“

 

Als Pretty Shield dreizehn wurde, versprach sie ihr Vater an einen Mann namens Goes-Ahead, der später ein Scout für Lieutenant Colonel George Armstrong Custer in der Schlacht am Little Bighorn werden würde. Mit sechzehn wurde Pretty Shield Goes-Aheads zweite Frau, bei den Crows war es einem wohlhabenden Mann möglich mehrere Frauen zu heiraten, die sich gegenseitig bei der Arbeit halfen. Ihre älteste Schwester war seine erste Frau, und ihre jüngste Schwester wurde wahrscheinlich seine dritte. Obwohl Pretty Shield Goes-Ahed bei der Hochzeit wenig kannte, lernte sie ihn zu lieben, sagte sie, denn er war immer sehr liebenswürdig.

          Unter den Crows waren die Rollen von Mann und Frau strikt definiert. So wie Pretty Shield erklärte, waren die Männer für die Jagd, Pferde stehlen und Feinde bekämpfen verantwortlich. Frauen erzogen die Kinder, sammelten Holz, kochten und dörrten Fleisch, gerbten Leder, nähten Kleider und bauten Hütten. Wenn das Dorf umzog, lag es an den Frauen Hütten und Tipis abzubrechen, die Pferde und Travois zu bepacken und an den neuen Standort zu bringen.

          Pretty Shield war die einzige Frau Goes Ahed, die Kinder hatte: drei Mädchen und zwei Jungen. Sie verlor zudem einen Jungen und ein Mädchen im Kleinkindalter. Es war in der Zeit der Trauer, nach dem Tod des zweiten Kindes, als Pretty Shield eine Vision hatte, die sie eine Heilerin werden liess.

          Wenn eine Crowfrau in Trauer ist, schneidet sie sich die Haare und schlitzt sich Arme, Beine und Gesicht, um ihr Leid zu zeigen. Dann wanderte sie alleine, ohne Essen und Trinken umher, bis sich ihr Kummer verringerte.

          Pretty Shield war für zwei Monate in Trauer, in dieser Zeit schlief sie wenig und ass nur so viel um nicht zu verhungern, als sie die Erscheinung einer Frau sah, die sie zu einem Ameisenhaufen führte. Pretty Shield beschrieb Linderman diese Vision.

 

“Reche den Rand des Ameisenhaufens zusammen und frage nach den Dingen, die du willst, Tochter”, sagte die Person; und dann war sie verschwunden. Nur noch der Ameisenhaufen war da; und der Wind bliess. Ich sah das Gras wiegen, wie ich wiegte, als ich den Rand des Ameisenhaufens zusammen rechte, so wie es mir die Person geboten hatte. Dann sprach ich meinen Wunsch aus: “Gib mir Glück, und ein gutes Leben”, sagte ich laut, den Hügel anschauend...

          Bis heute haben mir die Ameisen geholfen. Ich höre ihnen immer zu. Sie sind meine Medizin, diese fleissigen, kraftvollen kleinen Leute, diese Ameisen.”

 

Als Heilerin behandelte Pretty Shield die körperlichen Leiden von Frauen und Kindern und bot ihnen spirituelle Betreuung an. Sie hatte den Ruf eine Expertin in Heilpflanzen zu sein und war eine der angesehensten Mitglieder des Stammes. Wie andere Crow Heiler verrechnete sie nichts für ihre Dienste, erhielt jedoch Geschenke wie: Tabak, Hirschzähne, Essen und Büffelkleidung.

          Pretty Shield lebte ein langes Leben - lange genug um Zeugin der Ausrottung der Büffel und die Unterjochung ihres Volkes durch die Regierung der USA zu erleben. Sie beobachtete das Verschwinden der Crowkultur, wie es für jahrhunderte existiert hatte. Von Linderman überredet, beschrieb sie traurig den Wendepunkt in der Geschichte ihrer Leute.

 

“Die glücklichste Zeit meines Lebens war, als wir den Büffeln über unser wunderschönes Land folgten... Da waren immer so viele, viele Büffel, gutes und fettes Fleisch in Hülle und Fülle für alle...

          Ah, mein Herz ist gebrochen, als ich getötete Büffel über unser wunderschönes Land verstreut sah, getötet und gehäutet, und vom weissen Mann zurückgelassen um zu faulen. Viele, viele hunderte Büffel... Das ganze Land stank nach faulendem Fleisch. Nicht einmal die Blumen konnten diesen schlimmen Gestank dämmen. Unsere Herzen wurden wie Stein...

          Wir glaubten für eine lange Zeit, dass die Büffel zu uns zurückkehren würden; aber das taten sie nicht...

          Die Zeiten haben sich so schnell geändert, dass sie mich zurückgelassen haben. Ich verstehe diese Zeiten nicht. Ich wandere im Dunkeln. Unser Leben war bevor die Büffel verschwanden anders, und ich gehöre zu dieser anderen Welt.”

 

          Pretty Shield mag sich nach den Alten Zeiten gesehnt haben, aber ihre Memoiren halfen das Crow Erbe für spätere Generationen zu erhalten. Ihre Geschichten und Beschreibungen ihrer Kultur, wie sie von Linderman aufgezeichnet wurden, sind kraftvolle Abbilder, die ermöglichen die Crow Traditionen in späteren Tagen wieder aufblühen zu lassen.

www.wiwasteka-allegra.com



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